Distanziert, freundlich, verbindlich, das Hamburger SIE ist eine Hamburgensie

Hafenfähre Hamburgensie festgemacht an den LandungsbrückenDie Hamburger Hafenfähre Hamburgensie © ganz-hamburg.de

Eine echte Hamburgensie: Das Hamburger SIE. An dieser speziellen und sympathischen Anredeform erkennen man den echten Hamburger.

Das Hamburger SIE ist durchaus eine echte Hamburgensie. Etwas, das es nur in Hamburg gibt und typisch für die Stadt und ihre Menschen ist.

Zuerst gilt es mal mit einem beliebten Vorurteil aufzuräumen. Hamburger laufen nicht den ganzen Tag in dunkelblauen Blazern herum, die Hanseatin trägt nicht immer eine Perlenkette und nicht alle Hamburger sind Mitglied im NRV, dem Club an der Alster, spielen Hockey oder flanieren täglich über den Jungfernstieg. Aber, an der Sprache erkennt man schnell einen typischen und zumeist geborenen Hamburger.

Das rote Leitungsboot des NRV bei einer Regatta auf der Außenalster in Hamburg mit Segelbooten bei gutem Wetter
Der Boot der Regattaleitung des NRV bei einer Segelregatta © ganz-hamburg.de

Das Hamburger SIE:
nah und distanziert zugleich

Es hat sich wohl in den frühen 1950er Jahren herausgebildet. Wann es genau war, weiß keiner. Doch irgendwann war es Standard, wenn es vertraut und gut kollegial in Büros, Firmen oder Behörden zuging – das Hamburger SIE, das für viele nicht Hamburger erst einmal merkwürdig und ungewöhnlich klingt.

Nur wenige europäische Sprachen kennen das förmliche Siezen und die konsequente Anrede mit dem Nachnamen, wie wir es in der deutschen Sprache praktizieren.

Moritz, können Sie mir die neuen Excel-Charts vom Projekt zu mailen…”

“Johanna – machen Sie bitte die Frachtpapiere schnell fertig, der Fahrer trifft in zwanzig Minuten ein…”

Das diskrete Hamburger Sie

Die Hamburger, die mit einer Jahrhunderte alten Kaufmannskultur gesegnet sind, haben schon vor vielen Jahren ihren eigenen Weg zu einer distanzierten Nähe gefunden. Nähe, ohne sich kumpelhaft plump anzubiedern, sondern Nähe aus dem Respekt.

Allerdings es gibt natürlich etliche Sphären, in denen diese spezielle SIE-Form ungewöhnlich wäre. In den Hamburger Spielbanken ist das Siezen obligatorisch, obwohl beim klassischen Spiel auf eine gewisse Förmlichkeit bestanden wird.

stilisiertes Schiff als Türschmuck über einem Eingang zum Chilehaus in Hamburg
Hamburger Kontorhaus-Viertel: Schmuck über eine Eingangstür im Chilehaus
© ganz-hamburg.de

Keine plumpte Anbiederei

Das Hamburger SIE ist also immer angebracht, wenn es gilt Nähe und Sympathie zu zeigen. Aber, man vermeidet, dass man sich dem Gegenüber aufdrängt – ihn zu einem Kumpel macht. Denn Beide Seiten haben genug Abstand.

Das ist besser als der kumpelhafte Berliner WG-Jargon, der Nähe simuliert, die bei genauer Analyse aber objektiv nicht oder kaum vorhanden ist. Das Geheimnis der Höflichkeit ist neben Freundlichkeit, Haltung, Toleranz und Klugheit stets auch ein gewisses Maß an Abstand, der dem Gegenüber Raum lässt und ihn nicht erdrückt.

Ein Meister das Hamburger SIE war natürlich, wie könnte es anders sein, war Helmut Schmidt. Ihm war plumpe Vertraulichkeit weitestgehend zuwider. Auf der einen Seite wusste er genau um seine intellektuelle Stärke und rhetorische Überlegenheit, auf der anderen Seite war er immer der geerdete Mensch, dem Aufgeblasenheit und falscher Pathos immer ein Gräuel war.

Bescheiden bei einer Danksagung

Nun, selbst wenn Sie im Zeitalter von Google Maps auf allen Smartphones in Hamburg auf der Straße nach dem Weg Fragen oder Ihnen ein Hamburger eine Auskunft oder eine kleine Hilfestellung, wie z.B. einen Kinderwagen die Treppen hinauf oder hinunter zu tragen, gibt und Sie sich dafür bedanken. Dann wer Sie häufig das als Erwiderungen hören:

“Danke, dafür nicht… oder
…ach – nicht dafür”

Die Hamburger Danksagung

Damit drückt ein Hamburger stets aus, das war doch Selbstverständlich, dass ich Ihnen geholfen habe. Sozusagen ein Gebot der Höflichkeit.