Chef´s Talk in der 100/200 Kitchen in Hamburg Rothenburgsort

Die Chef's Talkdiskussionsrunde im GesprächUnter der Leitung von Gabriele Heinz, (stv. Chefredakteurin Der Feinschmecker) bei der Chef's Talk Diskussionsrunde Foto: Marc Schneer

Köche haben die weiße Kochjacke von den Medizinern übernommen!

Zwei-Sterne-Halter Dirk Luther aus Glücksburg rief am 24. September 2018 zum Chef´s Talk und gleich fünf Kolleginnen und Kollegen aus Top-Restaurants eilten nach Hamburg, um über die Zukunft der Gastronomie zu sprechen. Im gerade eröffneten Restaurant ‚100/200 Kitchen‘ von Thomas Imbusch, das im Industrieviertel Rothenburgsort an der Elbe liegt, führte Gabriele Heins, stellvertretende Chefredakteurin Der Feinschmecker, charmant durch den Abend: „Viele hoch ausgezeichnete Restaurants schließen – oft auch aus Personalmangel, gleichzeitig erobern spannende Welt-, Regio- und Veggi-Konzepte die Städte. Ideen sind gefragt.“

Die Chef's Talkdiskussionsrunde im Gespräch
Unter der Leitung von Gabriele Heins (stv. Chefredakteurin Der Feinschmecker)
bei der Chef’s Talk Diskussionsrunde Foto: Marc Schneer

Die Spitzenköche Thomas Kellermann (2 Michelin Sterne, Restaurant Dichterstub´n, Tegernsee), Julia Komp (1 Michelin Stern, Schloss Loersfeld), Paul Ivic (vegetarisches Sternerestaurant Tian, Wien), Billy Wagner (1 Michelin Stern, Nobelhart und Schmutzig, Berlin), Dirk Luther (2 Michelin Sterne, Restaurant Meierei, Glücksburg) und Hausherr Thomas Imbusch (100/200 Kitchen, Hamburg) treiben folgende Themen um: Nachwuchssorgen im Gastgewerbe, fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft gegenüber den Lebensmitteln und dem Koch-Handwerk, Stornogebühren und mangelnde Unterstützung aus der Politik. 

Der Politik ist die Gastronomie egal

Thomas Kellermann und Julia Komp waren sich einig: „Die Mittelklasse in der Gastronomie stirbt gerade. Jeder – auch die Top-Gastronomie – merkt, dass man kein Personal mehr bekommt. Wir stecken in einer Krise“, sagt die 29-Jährige. Der 2-Sterne-Koch aus Bayern ergänzt: „Köche und Gastronomen verkaufen sich unter Wert. Wir müssen weiter an den Arbeitsbedingungen arbeiten, die Arbeitszeiten einhalten und auch über Teilzeit nachdenken, um dem Personalmangel entgegenzuwirken.“

Paul Ivic, einziger vegetarischer Sternekoch Österreichs: „Wir müssen den Köchen und dem Service eine Zukunft bieten, das heißt auch bei der Ausbildung nicht Tüten aufmachen und portionieren, sondern ganze Tiere zerlegen und in den unterschiedlichsten Speisen verwenden. Jeder ist am Ende selbst für seinen beruflichen Weg verantwortlich. Aber wir als Chefs müssen darauf achten, dass wir unseren Nachwuchs nicht verheizen.“

Dirk Luther richtete ein Appell an die anwesenden Journalisten und Blogger: „Wir haben als Koch einen kreativen Traumberuf, der weltweit gefragt ist und den wir tagtäglich mit Leidenschaft ausführen. Wir sollten die vielen positiven Seiten des Berufs ins Rampenlicht rücken. Es ging uns noch nie so gut wie heute. Junge Menschen müssen wieder Spaß daran finden, ein Handwerk zu erlernen.“

Billy Wagner, Gastgeber im Berliner Restaurant ‚Nobelhart und Schmutzig‘, macht nur das, woran sie selbst Spaß haben und lassen die Gäste daran teilhaben:

„Es wird ein Menü geboten. Wir fragen bei der Reservierung nach der Kreditkarte, um no-shows zu vermeiden. Eine vertrauensvolle, langjährige Zusammenarbeit mit dem Team ist uns wichtig, daher verzichten wir auf das Mittagsgeschäft und schließen den gesamten August, um uns und unseren Mitarbeitern eine Pause zu gönnen.“

Fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft gegenüber gutem Essen stand auch auf der Agenda. Thomas Imbusch arbeitet mit dem Reservierungssystem Top. Ein Platz muss im Voraus reserviert und das Menü bezahlt werden.

„Ich überrasche meine Gäste, denn sie erfahren erst im Restaurant, was es an Speisen gibt. Wir liefern ein gutes Handwerk mit wertvollen und frischen Lebensmitteln, da erwarten wir Wertschätzung von den Gästen.“

Der stark von seinem Großvater geprägte Paul Ivic forderte:

„Wir müssen zeigen, was Essen eigentlich ist. Essen verbindet, Essen zeigt Wertschätzung gegenüber Kindern, Freunden etc. Es geht nicht um das Geld. Heute geht man in den Supermarkt und kauft sich das Günstigste. Aber wie teuer ist es, wenn wir krank werden?

Endlich Steuergerechtigkeit

Initiator Dirk Luther fordert von der Politik:

„Abschaffung der unterschiedlichen Handhabung von 7% und 19% Mehrwertsteuer für Essen. Wenn ich eine Pizza auf die Hand kaufe, zahle ich 7% Mehrwertsteuer, die gleiche Pizza im Restaurant kostet 19%. Das ist ein Grund, warum die Städte immer mehr ‚to go‘ Angebote haben und immer weniger Restaurants.“

Billy Wagner ergänzte: „Keine einzige Partei hat das Thema Esskultur oder Gastronomie in ihr Parteiprogramm aufgenommen.“ 

Paul Ivic dazu: „Die Politik kann etwas tun, aber auch wir Küchenchefs. Wir müssen Rückgrat zeigen und keine Ware servieren, die minderwertig ist. Ein Koch hat die weiße Kochjacke von den Medizinern überreicht bekommen. Wir müssen den Gästen zeigen, was Produkte, Gewürze etc. in unserem Körper bewirken.“ 

Der vor drei Jahren von Dirk Luther eingeführte Chef´s Talk hat das Ziel, Aufmerksamkeit zu schaffen für die Vielfalt der deutsch-österreichischen Spitzenküche, für Herausforderungen aber auch Trends und Entwicklungen der Branche. Wir erlebten einen interessanten Abend mit guten Debatten. Jeder Konsument ist gefragt, welche Wertschätzung er den Köchen und den guten Lebensmitteln zuteil lassen möchte.