Auslaufmodell oder wer braucht noch die klassischen Medien?

Wer braucht noch die klassischen Medien?Diskussion im Speicher am Kaufhauskanal: Wer braucht noch die klassischen Medien?Henry Brinker, Ralf Schuler, Detlef Esslinger, Stephan-Andreas Casdorff und Oliver Hollenstein (vl) Foto: Cetin Yaman

Spannende Diskussion im Speicher am Kaufhauskanal in Hamburg Harburg. Werden die Medien, die wir kennen zum Auslaufmodell?

von Cetin Yaman
Die rasante Entwicklung des Internets in den vergangenen Jahren hat es mit sich gebracht, dass die klassischen Medien bei der Meinungsbildung oft einfach übersprungen werden. Sekunden nach Ereignissen werden bereits auf sozialen Netzwerken Kommentare veröffentlicht, die offensichtlich emotional geprägt sind und noch nicht sämtliche Fakten berücksichtigt haben können. Doch die Demokratie braucht informierte Bürger, die verantwortungsvoll und kompetent entscheiden können, diese Meinung bekundete man einstimmig auf einem Diskussionsforum im Speicher am Kaufhauskanal in Hamburg Harburg. An dem Abend ging es darum, welche Optionen es gibt, welche Strategien hier von den traditionellen Medien und ihren Journalisten gewählt werden müssen, um Gehör zu finden und sich im Wettbewerb der Nachrichtenversorger und Wissensanbieter durchzusetzen.

Edelfedern diskutierten im Speicher am Kaufhauskanal

Zur Zukunft der Informationsgesellschaft“ äußerten sich folgende namhaften Journalisten  deutscher Leitmedien auf dem Podium: Detlef Esslinger (stellvertretender Ressortleiter Innenpolitik Süddeutsche Zeitung), Oliver Hollenstein (DIE ZEIT), Hamburg, Ralf Schuler (Leiter BILD Parlamentsredaktion Berlin) und Stephan-Andreas Casdorff (Chefredakteur des Tagesspiegel Berlin). Die Moderation der zweistündigen Diskussion kam von Speicher-Geschäftsführer Henry C. Brinker, musikalische Intermezzi lieferte Leon Gurvitch am Piano.

Detlef Esslinger, SZ, unterstrich dabei, dass das Bemühen, die Leser mit Qualität zu überzeugen, bereits bei den Auszubildenden anfängt: „Wir suchen bei der Süddeutschen Nachwuchsjournalisten, die uns durch ihre besondere Biografie überzeugen, die etwas Besonderes studiert haben oder besondere Erfahrungen gemacht haben“.

Ralf Schuler empfand es als einen interessanten Abend in Harburg und antwortete auf die Hauptfrage damit, dass die Bild-Zeitung Fragen beantworten muss, die sich stellen und die gestellt werden. „Ganz gleich, ob sie uns dumm, unwichtig, abwegig oder unkorrekt vorkommen. Dabei sollten Journalisten ihre subjektiven Brillen absetzen und nicht taktieren. Tucholsky hat einmal gesagt: ,Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig.’ Wenn die Menschen spüren, dass sie belehrt, bedrängt oder beschimpft werden, wenden sie sich ab. Nicht nur von den Medien, sondern oft auch von der Demokratie. Dann wird es gefährlich.”

Beim Tagesspiegel in Berlin wählt man angesichts einer anderen Zielgruppe dementsprechend eine andere Strategie. „Wir versuchen, die Themen, über die man spricht, zu intellektualisieren. Das bedeutet, dass wir versuchen, kompetent Hintergründe und Konsequenzen auszuleuchten. Unser Wahlspruch heißt lateinisch: ‚Rerum Congnoscere Causas,‘ das bedeutet, immer die Ursachen zu erkennen“.

In Hamburg bestimmt die ZEIT wesentlich die politische Debatte mit und erreicht eine hohe digitale Verbreitung, lebt aber gleichzeitig noch wesentlich von der Print-Ausgabe. „Es gibt abseits des Medienwandels eine massive Erosion in das Vertrauen demokratischer Institutionen, das betrifft die Regierung, das Parlament, die Parteien und die Medien gleichermaßen. Medien werden leider auch als ‚die da oben‘ wahrgenommen. Dem müssen wir entgegenwirken, indem wir zeigen, dass wir auf der Seite der Leser und des Volks stehen, nicht auf der Seite der Mächtigen. Wir dürfen den Lesern nicht pädagogisch-paternalistisch begegnen. Außerdem müssen wir Journalisten heterogener werden und uns stärker bemühen, andere Blickwinkel einzunehmen“, so Oliver Hollenstein, DIE ZEIT, Hamburg.

Die lockere, aber dem Thema dennoch die nötige Ernsthaftigkeit gewährende Moderation von Henry C. Brinker machte aus der Veranstaltung eine kurzweilige Angelegenheit. Er selbst sieht das Ende der Zeitungen noch nicht kommen: „Die Sinnlichkeit von Print, die haptische Beziehung zum gedruckten Papier wird von den Internet-Medien noch nicht erreicht“, so sein Fazit.

Auch das Publikum war gut besetzt, unter anderem mit Isabel Wiest, Mitglied der Bezirksversammlung und Social Media Zuständige im Bundesvorstand der Neuen Liberalen. Sie und ihr Mann sind regelmäßige Gäste im Speicher am Kaufhauskanal. „Ein richtiger Hochgenuss für Harburg. Wunderbare Location, hochkarätige Gäste, ein musikalischer Hochgenuss und die wie immer sehr gelungene Moderation von Henry Brinker“. Sie stimmte den vorgetragenen Thesen der Podiumsteilnehmer zu und nahm eine Anregung mit: „Sehr interessant fand ich die Anregung von Herrn Casdorff, den Leser intellektuell an die Hand zu nehmen und ihm nicht nur das zu zeigen, was ihr gerade interessiert, sondern noch einen weiteren Artikel darüber hinaus, der die Story aus einem anderem Blickwinkel beleuchtet. So kann er dann selbst entscheiden, bis in welche Tiefe er in die Information einsteigen möchte“.